Ein Österreicher sucht im Erzgebirge nach einem von der SS versteckten Kunstschatz

Berliner Zeitung, Nr. 183, Dienstag, 10. August 2021 – Seite 24
Author: Andreas Förster

Das Auto haben wir unten an der Straße nach Deutschkatharinenberg verlassen und stapfen nun den schmalen Waldweg hinan. Kupferleite, An der Hohle und Höllenweg heißen die Pfade hier im deutsch-tschechischen Grenzgebiet, die hinauf führen zum Weißen Stein mit dem geheimnisvollen Teich und den Bruchsteinen, die vermutlich der alte Abraum eines längst vergessenen Bergwerks sind. Irgendwann, auf einer kleinen Lichtung, bleibt Burkhard List stehen, ein wenig atemlos schaut er sich um. „Hier unter uns“, sagt der 72-Jährige mit tiefer, voller Stimme, „vermuten wir die Stollen, die von der SS vor Kriegsende zu einem Depot für geraubte Kunstschätze ausgebaut wurden. Und dort, da bin ich sicher, lagert auch ein Teil der verschollenen Kunstsammlung des ungarischen Barons Ferenc Hatvany.“

List stammt aus Österreich und hat jahrzehntelang als investigativer Journalist gearbeitet. Er war an der Aufdeckung der sogenannten Noricum-Affäre um illegale Waffenlieferungen des Konzerns VOEST nach Irak und Iran beteiligt, hat über Nazi-Seilschaften im österreichischen Bundesheer und eine CIASchule in Panama recherchiert, vom CDU-Spendenskandal und über den NSU in Deutschland berichtet. Nun will er noch sein letztes journalistisches Projekt, an dem er seit mehr als 20 Jahren forscht und über das er Bücher verfasst hat, erfolgreich zu Ende bringen – die Suche nach den von der SS geraubten Kunstschätzen des Barons Hatvany. Crowdfunding-Projekt Für das Vorhaben hat List ein Crowdfunding-Projekt gestartet, mit dem er über das Portal kickstarter.com das Geld für die weitere wissenschaftliche Vermessung des alten Bergwerks im Erzgebirge und die anschließende Öffnung des dort vermuteten Kunstdepots sammeln will. Dazu hat er einen gut siebenminütigen Film ins Internet gestellt, mit dem er die bisherigen Forschungen dokumentiert. „Ich bin sicher“, sagt List, „dass wir in den nächsten zwei Jahren unser Ziel erreichen werden und einen großen Teil der Hatvany-Sammlung hier im Berg finden.“

Die Kunstsammlung des 1881 in Budapest als Spross einer sagenhaft reichen ungarischen Industriellenfamilie geborenen Juden Ferenc Hatvany zählte zu den umfangreichsten und wertvollsten in Europa. Seit Kriegsende jedoch gelten große Teile der Kollektion aus Gemälden, Plastiken, Porzellan und kostbaren Seiden-Teppichen als verschollen. Allein die Zahl der Gemälde im Budapester Stadtpalais des Barons wurde auf mindestens 800 geschätzt, die Hälfte davon waren Meisterwerke unter anderem von Cézanne, Degas, Manet, Monet, Renoir, Tintoretto, Courbet, Tizian und El Greco. Nach dem Einmarsch der Deutschen in Ungarn im März 1944 gelang dem 1958 verstorbenen Hatvany zwar die Flucht, seine Kunstsammlung aber wurde von der SS verpackt und per Lkw und Zug Richtung Westen verschickt. Ein Teil der Sammlung lagerte die SS in einem Salzbergwerk im österreichischen Altaussee, wo sie nach Kriegsendevon der US-Armee geborgen werden konnte. Für den großen Rest der Sammlung aber verliert sich die Spur in Deutschland. Burkhard List hat bei seinen jahrelangen Recherchen herausgefunden, dass Ende 1944 im bayerischen Rosenheim ein Zug mit Teilen der Hatvany-Sammlung Richtung Berlin gestartet war. Unterwegs wurden allerdings mehrere Waggons abgekoppelt und umgeleitet. Zwei dieser Waggons landeten List zufolge im Erzgebirge und wurden im Bahnhof von Deutschkatharinenberg entladen. „Mit Lastern fuhr die SS die Gemälde und anderen Kunstobjekte dann über den Höllenweg zu einem stillgelegten Bergwerk, das in den Monaten zuvor von Zwangsarbeitern zu einem unterirdischen Depot ausgebaut worden war“, erzählt List. „Nach der Einlagerung wurden die Zugänge zum Stollen gesprengt.“ Noch heute finde man rund um den von List und seinen Leuten vermuteten Stolleneingang Gesteinsbrocken, wie sie nach Felssprengungen üblich sind.

In den letzten zwei Jahren hat List zusammen mit Bergbaufachleuten und Wissenschaftlern Bohrungen bis in 20 Meter Tiefe sowie umfangreiche Messungen mit Radar, Laserscannern und Drohnen rund um das Gebiet am Weißen Stein durchgeführt. Damit sollten geologische Schichtungen aufgenommen und das Gebiet des ehemaligen Bergwerks eingegrenzt werden. Denn in den alten Bergbauarchiven fehlen Unterlagen zu diesem, vermutlich aus dem 16. Jahrhundert stammenden Bergwerk. „Das ist ungewöhnlich und könnte ein Hinweis darauf sein, dass die alten Pläne im Zusammenhang mit dem Ausbau des Stollens durch die SS gezielt aus dem Archiv entfernt wurden“, sagt List.

Scans mit Drohnen

Maßgeblich unterstützt wird der Journalist bei diesen Vermessungsarbeiten von dem Wiener Wissenschaftler Wolfgang Neubauer. Neubauer, Mitglied der österreichischen Akademie der Wissenschaften, leitet in Wien das Ludwig-Boltzmann-Institut für Archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie und ist auf Altbergbau spezialisiert. Durch seine Messungen seien mehrere alte Luftschächte geortet worden, die zur Belüftung des auf etwa zehn Hektar Fläche verlaufenden Stollensystems dienten. Noch in diesem Jahr sollen die Messungen mit Georadar fortgesetzt werden.

Im Februar und März sind weitere Scans des Gebietes mit Drohnen geplant sowie Bohrungen im Bereich des vermuteten Depoteingangs. Auch soll untersucht werden, welche Funktion ein mysteriöser, offensichtlich künstlich angelegter Teich von etwa zwölf Meter Durchmesser auf dem Gebiet für das vermutete Bergwerk haben könnte. Nach Auswertung aller Daten soll dann ein 3DModell des Berges erstellt werden, um die Öffnung des alten Bergwerks vorzubereiten. Zur Finanzierung all dieser Arbeiten will List die Mittel nun per Crowdfunding eintreiben. Burkhard List ist optimistisch. Jahrelang hat er akribisch Dokumente und Zeugenaussagen gesammelt, die aus seiner Sicht auf das Versteck im Berg oberhalb von Deutschkatharinenberg hinweisen. „Die SS hat die Kunstsammlung dort in den Berg geschafft“, sagt List, „und ich hole sie wieder raus.“

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